An mich wurde aus dem Team die Frage gerichtet: Wie finde ich schnell die richtige Vorschrift in der StPO?
Und in der Tat: Um in der Vorbereitung, aber auch in der Verhandlung eine bestimmte Vorschrift zu finden, ist es hilfreich, die Systematik des Gesetzes zu kennen. So müsst ihr nicht alle relevanten §§ auswendig lernen und findet trotzdem schnell die richtige Vorschrift.
Zentral ist hier natürlich die StPO. Die verweist aber gleich in § 1 auf das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Dieses ist in guten Gesetzessammlungen und Kommentaren ebenfalls abgedruckt. Das GVG befasst sich im Wesentlichen mit dem Aufbau der Strafgerichte, enthält aber auch einige für die Praxis vor Ort wichtige Vorschriften:
Er enthält Vorschriften zur Unabhängigkeit des Richters (§ 1) und definiert Zugehörigkeit und Zuständigkeiten der „ordentlichen Gerichtsbarkeit“ (§§ 12-14). Das wird für uns erst dann wirklich relevant, wenn Sondergerichte für die Letzte Generation eingerichtet werden sollten. Auch deshalb ist für uns das Verbot von Ausnahmegerichten in § 16 GVG wichtig. Es stellt sich in der Tat ie Frage, ob die Einrichtung neuer Kammern speziell für beschleunigte Verfahren gegen die Letzte Generation gegen diese Vorschrift verstoßen. Das dürfte rein juristisch umstritten sein, kann aber in der öffentlichen Diskussion ein gutes Framing sein.
In § 17 werden Regelungen über die Behandlung unklarer Zuständigkeiten getroffen. Die §§ 18 bis 21 setzen das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen um, befreien Diplomaten von der ordentlichen Gerichtsbarkeit und regeln Grenzfälle.
Bis auf § 21 g sind diese Regelungen für uns nicht von Bedeutung. § 21g regelt die Geschäftsverteilung innerhalb eines Spruchkörpers, also eines Referates, einer Kammer oder eines Senats. Das ist bei Spruchkammern mit einem/einer Richter*in ohne Bedeutung, wird Relevanz bekommen können bei Schöffenkammern oder bei höheren Gerichten.
Hier geht es um Zuständigkeiten, Zusammensetzung und andere organisatorische Fragen. Im Normalfall für uns also ohne Relevanz. Wenn allerdings (z.B. wegen der zu erwartenden Strafe) die Zuständigkeit des Amtsgerichts geprüft werden muss, sind hier die §§ 24-26 heranzuziehen.
Wenn ihr also mal am Amtsgericht mit der Schöffenkammer zu tun habt, kann es sinnvoll sein, sich diesen Teil mal anzuschauen. Ansonsten auch, wenn ihr wissen wollt, wie mensch Schöff*in werden kann und was das konkret bedeutet.
Dieser Teil befasst sich mit der Besetzung und den Zuständigkeiten der Landgerichte.
§ 73 bestimmt, die Zuständigkeit für Entscheidungen über Verfügungen des Amtsgerichts. Das betrifft insbesondere Sofortige Beschwerden gegen z.B. Ablehnungen von Terminsverschiebungen oder von Laienverteidigern. Die Sofortige Beschwerde muss allerdings vor der Mündlichen Verhandlung erfolgen.
In § 76 ist die Besetzung der Strafkammern geregelt.
ist für Strafverfahren nicht relevant. Er befasst sich mit der Strafvollstreckungskammer, die über die Rechte der Strafgefangenen entscheidet. Er ist also für die Gefängnis-Support-AG relevant.
Das Gesetz scheint im Laufe der Jahre ganz erhebliche Veränderung mitgemacht zu haben, so dass die Nummerierung nicht mehr ganz konsistent ist.
Auch hier: Zuständigkeiten, Zusammensetzung etc. Für uns in der Regel nicht relevant.
Dieser ist für unsere Praxis erst mal nicht relevanten
wird uns wohl erst beschäftigen, wenn wir das Klima gerettet haben. § 140a regelt die Zuständigkeit bei Wiederaufnahmeverfahren.
Auch hier wieder vor allem um Fragen der Zuständigkeiten und Organisation.
ist für uns in der alltäglichen Prozessbegleitung nicht relevant. Wenn ihr Prozesstrainings macht, kann es aber (für die Einstimmung der Teilnehmenden auf die entsprechende Rolle) durchaus lohnend sein, die Titel 10 und 11 mal gelesen zu haben.
ist mit „Rechtshilfe“ überschrieben. Die Gerichte sind danach verpflichtet, den Bürger*innen Rechtshilfe zu gewähren, also sie bei der Vornahme rechtlicher Schritte zu beraten oder ihnen durch Beratungsschein Beratung durch eineN Rechtsanwält*in der Wahl zu ermöglichen. Dieser Abschnitt regelt hierfür die Zuständigkeiten. Mal lesen schadet nicht, aber seid Euch bewusst, dass die Praxis meist hinter der Theorie zurück bleibt..
Hier findet ihr Vorschriften zur Gewährleistung und zur Einschränkung der Öffentlichkeit (§§ 169 bis 175) und zu Sitzungspolizeilichen Mitteln, also Ausschluss, Ordnungsgeld etc. (§§ 177 bis 183). Also auf jeden Fall mal reinschauen!
Ist dann relevant, wenn d. Angekl. der deutschen Sprache nicht mächtig ist. § 186 GVG regelt die Verständigung mit Hör- und Sprachbehinderten Menschen. Das kann also auch mal für uns als Laienverteidiger*innen relevant werden. Bei Gelegenheit mal lesen, dann erinnert ihr vielleicht leichter dran, wenn es für Euch konkret relevant wird.
Hier findet ihr die Bestimmungen über den gesetzlichen Richter und die Beratung von Beschlüssen und Urteilen bei Gerichten mit Schöff*innen oder mehreren Richter*innen.
Dieser Teil ist später angehängt worden und befasst sich mit überlangen Verfahren. Für uns ist das im Augenblick nicht relevant, kann aber mit zunehmender Überlastung der Gerichte mit unseren Verfahren relevant werden. Es könnte sich also lohnen, diesen Teil mal in einer ruhigen Stunde zu lesen.
Nachdem ich beim letzten Mal das GVG erörtert habe, kommen wir dieses Mal zur Strafprozessordnung. Sicherlich wird es aber noch mindestens einen Teil 3 geben müssen, um alles soweit zu durchdringen, dass ihr im Alltag schnell die passende Vorschrift finden könnt.
Eine Möglichkeit, schnell die Vorschrift zu finden, die mensch sucht, ist das Auswendiglernen. Bei der Masse an Vorschriften ist das zeitaufwändig und nicht Allen ist ein gutes Gedächtnis mit auf den Weg gegeben, zumal Inhalt und Formulierung der Vorschriften sich nicht gerade zum Auswendiglernen eignen. Außerdem braucht mensch im juristischen Alltag meist nur einen kleinen Teil der Vorschriften.
Wenn ihr mal, wie ich, 30 Jahre „im Geschäft“ seid, werdet ihr wahrscheinlich mehr Vorschriften auswendig kennen als ich mit meinem Gedächtnis. Was in § 138 Abs. 2 oder im § 163 steht, kann ich noch immer nicht auswendig vorsagen. Aber wenn ich nach der entscheidenden Vorschrift für die Zulassung von Laienverteidigung gefragt werde, kann ich in jedem Fall „§ 138 II“ aussprechen.
Es ist aber auch gar nicht notwendig, alle Vorschriften zu kennen. Viel wichtiger ist, zu wissen, wie ich schnell die richtige Vorschrift finde. Dabei hilft in jedem Fall die Systematik des Gesetzes zu kennen, denn dann müsst ihr nicht alle §§ durchlesen, sondern könnt es auf einige wenige begrenzen.
Die StPO besteht aus 8 Büchern, und die sind, mit gewissen Einschränkungen, durchaus logisch aufgebaut. Ich werde mich heute beschäftigen mit dem
Hier finden wir in 11 Abschnitten 150 Paragraphen, die in allen Verfahren und Rechtszügen gelten, vergleichbar mit dem Allgemeinen Teil des StGB (§§ 1-79).
Im ersten Abschnitt geht es um die „Sachliche Zuständigkeit der Gerichte“.
Den Verweis in § 1 auf das GVG habe ich im „Kleinen Paragraphenreiter Nr. 1“ ausführlich abgehandelt. § 6 schreibt vor, dass das Gericht die (im GVG festgelegte) sachliche Zuständigkeit „in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen“ prüfen muss. Das gilt logischerweise erst recht dann, wenn Zweifel an der Zuständigkeit des Gericht geäußert wird. Wenn wir also im Prozess darauf hinweisen würden, dass es sich hier um politische Verfahren handelt und daher die Kammern für die Verkehrssachen sachlich gar nicht zuständig wären, müsste das Gericht die eigene Zuständigkeit erneut prüfen.
Wir sind immer wieder mit Fragen zur Verbindung und Trennung von Verfahren konfrontiert. Hier sind die §§ 2 bis 5 StPO relevant. Hier ist auch § 3 wichtig. Er definiert den Begriff „Zusammenhang“, der bei der Verbindung von Verfahren eine Rolle spielt und somit in die Argumentation eingebaut werden kann bzw. sollte.
Besteht eine „besondere Zuständigkeit“, z.B. für Beschleunigte Verfahren, kommt meines Erachtens § 6a in Betracht. Hier hat das Gericht die Zuständigkeit bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens zu prüfen. Danach nur, wenn Angekl. und/oder Verteidigung Einwände gegen die Zuständigkeit erheben.
Auch der § 5 ist hier zu beachten: Praktisch bedeutet der: Sollte ein beim AG anhängiges Verfahren mit einem beim LG anhängigen Verfahren zusammen gelegt werden, wäre das LG für das weitere Verfahren zuständig. Dadurch würde dann in einem Fall die 1. Instanz verloren gehen. Ich habe das auch noch nicht erlebt, dass ein Landgericht so etwas macht. Aber wir sollten unsererseits auch nicht dahingehend tätig werden.