Es gibt gute Einstellungen und schlechte.
Die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO gehört zu den Guten.
In § 170 StPO geht es laut Überschrift um die Entscheidung über die Anklageerhebung. Absatz 1 bestimmt daher, wann eine Anklage erhoben werden soll bzw. kann, nämlich, wenn „die Ermittlungen genügend Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage“ bieten. Die StA prüft also, ob eine Verurteilung wahrscheinlich ist.
„Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein.“, so Absatz 2, 1. Satz. Die Einstellung nach § 170 II StPO bedeutet also, dass die Ermittlungsergebnisse nicht zu einer Verurteilung ausreichen. Oder anders gesagt: Die StA geht davon aus, dass ein Gericht in diesem Fall freisprechen würde. Deshalb eine gute Einstellung.
Im Prinzip ist es möglich, die Ermittlungen jederzeit wieder aufzunehmen, insbesondere wenn neue Tatsachen bekannt werden oder neue Beweismittel vorliegen. Das wird nach meiner Erfahrung aber bei Bagatellsachen nicht gemacht, weil es viel zu aufwändig wäre, die regelmäßig danach durch zu sehen, ob es was Neues gibt. In Blockade-Verfahren ist eine solche Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens noch nicht vorgekommen. Was soll in diesen Verfahren ein Jahr später noch als neue Tatsache oder neues Beweismittel auftauchen.
Die Einstellung nach § 170 II StPO wird dem Betroffenen nicht in jedem Fall mitgeteilt, sondern nur (Abs. 2 Satz 2) wenn der Beschuldigte „vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war“, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist. Die Mitteilung über die Einstellung erfolgt meist mit einem Formschreiben, in dem nur steht, „Das Verfahren gegen Sie wurde gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt“. Das ist oft ärgerlich, weil an keiner Stelle des Schreibens ersichtlich ist, um welche Tat es sich handelt und Nachfragen oft keine Klärung bringen.
Der Vollständigkeit halber soll hier auch die Einstellung wegen Verfahrenshindernis, §§ 206 a f. erwähnt werden. Liegt ein Verfahrenshindernis vor muss eingestellt werden. Wird das Verfahrenshindernis außerhalb der Hauptverhandlung festgestellt, so ist per Beschluss einzustellen. Während der Hauptverhandlung erfolgt die Einstellung gem. § 260 Abs. 3 StPO durch Urteil. Wird ein Verfahrenshindernis festgestellt, erübrigt sich die (weitere) Beweisaufnahme und sie wird in der Regel übersprungen.
Verfahrenshindernisse sind:
Der 3. Spiegelstrich ist immer wieder relevant bei Hausfriedensbruchs-Verfahren. Es lohnt sich hier also, den Strafantrag genau zu beleuchten, denn der Strafantrag fehlt auch, wenn er von einer nicht zuständigen Person unterschrieben wurde.
Bei der Verfolgung von Straftaten gilt der Legalitätsgrundsatz. Die StA muss zwingend tätig werden, wenn sie von einer Straftat erfährt. Die Einstellung von Verfahren ist eine Durchbrechung dieses Grundsatzes und insofern als Ausnahme zu verstehen. Gleichzeitig ist es eine pragmatische Lösung, um den Aufwand einer Strafverfolgung auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren. So können Verfahren beendet werden, bevor der Aufwand für ein korrektes Urteil gegenüber der Bedeutung der Tat nicht mehr gerechtfertigt werden kann. Oft führt das aber auch dazu, dass Gerichte und StA eine Einstellung vorschlagen, um einen Freispruch zu verhindern.
Gem. Abs. 1 kann die StA vor Erhebung der Anklage das Verfahren wegen Geringfügigkeit einstellen. Sie muss dazu die Zustimmung des Gerichts einholen, ferner die Zustimmung einer Beteiligten Behörde oder von Privatpersonen, wenn diese Strafantrag gestellt haben.
Die Einstellung ist nur zulässig, wenn kein anderes Verfahrenshindernis besteht und wenn eine Verurteilung möglich wäre. Es darf sich bei der Tat nur um ein Vergehen handeln; Verbrechen können also nicht wegen Geringfügigkeit eingestellt werden.
Einer Stellungnahme oder Zustimmung d. Angekl. bedarf es nicht.
Abs. 2 gilt, wenn die Anklage bereits erhoben, also bei Gericht eingegangen ist. Ab dann ist das Gericht für die Einstellung zuständig und kann „in jeder Lage des Verfahrens“ eine Einstellung vornehmen, wenn sowohl die StA als auch die Angeklagten zustimmen. Ohne die Zustimmung der Angeklagten kann die Einstellung nur dann erfolgen, wenn gem. § 205 StPO die Hauptverhandlung für längere Zeit nicht stattfinden kann, z.B. wegen längerer Abwesenheit oder aufgrund einer längeren Krankheit d. Angekl. Ferner, wenn die Verhandlung in Abwesenheit d. Angekl. durchgeführt wird.
Ein Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO erfolgt ohne Auflage.
Wenn das Gericht in der Hauptverhandlung eine Einstellung vorschlägt, kann das entgegen des Gesetzes auch der Versuch sein, einen Freispruch zu umgehen. Dann solltet ihr prüfen, wie nah ihr tatsächlich an einem Freispruch dran seid und ob es nicht sinnvoller wäre, den Prozess fortzuführen und mit einem Freispruch enden zu lassen. Das kann allerdings auch dazu führen, dass das Gericht dann doch verurteilt. Wenn ihr in einem solchen Fall der Einstellung zustimmt, würde ich empfehlen, vor der Zustimmung darum zu kämpfen, dass die Kostenentscheidung vollständig zu Euren Gunsten erfolgt, also auch die notwendigen Auslagen der Angeklagten und der Verteidigung beinhaltet. Ansonsten bleibt ihr auf Euren Fahrtkosten sitzen.
Dies ist die bekannteste Einstellungsvariante. Auch hier gibt es wieder die Variante Abs. 1, nach der die StA einstellen kann, wenn das Gericht und d. Angekl. zustimmen. Die Zustimmung muss auch die Auflagen und Weisungen enthalten. Es geht also nicht, dass die StA nach der Abfrage Auflagen oder Weisungen erteilt. Die Variante des Abs. 2 kommt erst in Frage, wenn die Anklage bereits erhoben ist. In diesem Fall stellt das Gericht das Verfahren ein, nach Zustimmung von StA und Angeklagten.
Als Auflagen oder Weisungen kommen nach Abs. 1 Satz 2 in Frage:
Wie wir oben schon festgestellt haben, ist die Einstellung des Verfahren eine Durchbrechung des Legalitätsprinzips. Diese Durchbrechung darf eigentlich auch nicht den Grundsatz „in dubio pro reo“ (Im Zweifel für den Angeklagten) verletzen, denn dieser Grundsatz hat Verfassungsrang. Dennoch werden Einstellung häufig in Fällen vorgenommen, in denen eigentlich freigesprochen werden müsste. Allerdings muss in diesen Fällen auch befürchtet werden, dass das Gericht bei Fortsetzung der Verhandlung verurteilt, selbst dann, wenn die Beweislage äußerst fragwürdig ist. Insofern ist die Zustimmung zur Einstellung oft für alle Beteiligten ein pragmatischer Weg, das Verfahren schnell zu beenden. Dennoch muss strategisch bedacht werden, ob derartige Einstellungen der Verfolgung unseres politischen Zieles nutzt oder diesem gar schaden kann. Daher wäre es sinnvoll, einer Einstellung nicht vorschnell zuzustimmen, sondern sich das genau zu überlegen.
Vor der Zustimmung sollte außerdem über die Höhe und den Empfänger des Bußgeldes gerungen werden. Wenn das Gericht eine Einstellung gegen Zahlung eines bestimmten Geldbetrages vorschlägt, sollte dies als Verhandlungsangebot verstanden werden. Versucht also das Bußgeld runter zu handeln und den Empfänger der Zuwendung selber zu bestimmen. Das bewahrt davor, im Nachhinein die Einstellung des Verfahren als „klein beigeben“ und als Niederlage wahrzunehmen. Das gilt auf jeden Fall dann, wenn das Gericht ein Bußgeld in Höhe der Geldstrafe vorschlägt. Damit bringt das Gericht vor allem zum Ausdruck, dass es ihm nicht um Milde geht. Das Gericht erspart sich damit die Begründung eines schriftlichen Urteils.
Deshalb mein wichtigster Tipp: Vor der Zustimmung zur Einstellung eine Verhandlungspause beantragen und nochmal genau nachzudenken.
Sollte das Gericht eine Pause ablehnen, könnt ihr getrost androhen, ohne vorherige Pause einer Einstellung nicht zustimmen zu können.
Nach Abs. 3 ruht die Verjährung während der Erfüllung der Auflagen, beginnend mit der Einstellungsverfügung. Das Ruhen endet mit dem Ablauf der gesetzten (und ggfls. verlängerten) Frist. Wird die Auflage vollständig und fristgerecht erfüllt, entsteht ein endgültiges Verfahrenshindernis.
Das Verfahren kann eingestellt werden, wenn das Absehen von einer Strafe insbes. Gem. § 46a, 46b und 60 StGB möglich ist. § 46a StGB besagt, dass von einer Strafe abgesehen werden kann, wenn die Täter*innen den Schaden beseitigt oder wiedergutgemacht haben. § 46b StGB ermöglicht das Absehen von einer Strafe für den Fall, dass d. Angekl. wesentlich zur Aufklärung einer schweren Straftat beigetragen hat. Wenn die Folgen der Tat für den Täter so schwer sind, dass eine Verfolgung und Bestrafung offensichtlich verfehlt wären, kann nach § 60 StGB ebenfalls von der Strafe abgesehen werden. In all diesen Fällen wird prozessual das Verfahren gem. § 153 b StPO eingestellt.
Der § 153 c betrifft Auslandsstraftaten, könnte also theoretisch interessant sein, bei Menschen, die an Aktionen außerhalb Deutschlands teilnehmen. Praktisch wird dies aber eher nicht relevant werden, weil deutsche Staatsanwaltschaften bisher bei politischen Aktionen keine Verfahren gegen in Deutschland lebende Menschen eingeleitet hat, jedenfalls nicht, wenn es sich um „kleinere“ Vergehen handelte. Eine Verurteilung in Deutschland wäre ohnehin nur dann möglich, wenn die Tat im Ausland nicht oder zu geringfügig bestraft worden ist.
Eingestellt werden kann ein Verfahren auch dann, wenn die Verfolgung von Staatsschutzdelikten nicht im überwiegenden staatlichen Interesse liegt (§ 153 d). Das ist für uns uninteressant. Das gleiche gem. § 153 e bei tätiger Reue in Staatsschutzdelikten. Auch § 153 f kommt für uns nicht in Betracht. Hier geht es um die Verfolgung bei Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch.
Die Einstellung kann nach § 154 StPO erfolgen, wenn
1. die Strafe, zu der die Verfolgung führen kann, neben der Strafe, die wegen einer anderen Tat rechtskräftig verurteilt wurde oder zu erwarten ist, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt.
2. ein Urteil nicht in angemessener Frist erfolgen kann oder wenn die schon ausgesprochene Strafe zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.
Wann eine Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht fällt, ist – klar – eine Einzelfall-Entscheidung. Der Kommentar Satzger/Schluckebier/Widmaier zitiert hierzu (Randnummer 4 zu § 154) nur 5 andere Kommentare, aber keine Gerichtsentscheidung. Nach Satzger et.al. Gegenüber einer Geldstrafe wird eine unbedingte Freiheitsstrafe i.d.R. ins Gewicht fallen. Letztlich wird aber auch das von der Höhe der jeweiligen Geld- oder Freiheitsstrafen abhängen.
Die StA stellt das Verfahren in eigener Zuständigkeit ein, solange noch keine Anklage erhoben wurde, Abs. 1. Eine Zustimmung des Gericht oder der Angeklagten ist nicht erforderlich.
Sobald Klage erhoben ist, entscheidet das Gericht auf Antrag der StA. Die Einstellung kann in jeder Lage des Verfahrens erfolgen, Abs. 2. Eine Zustimmung der Angeklagten ist auch hier nicht erforderlich.
Fällt die rechtskräftig erkannte Strafe nachträglich weg, kann das eingestellte Verfahren wieder aufgenommen werden, solange die Verjährung nicht eingetreten ist, Abs. 3. Wurde im Hinblick auf eine zu erwartende Strafe in einem anderen Verfahren eingestellt, kann das eingestellte Verfahren binnen 3 Monaten nach Rechtskraft wieder aufgenommen werden, Abs. 4. Dies geht nur, wenn noch keine Verjährung eingetreten ist. Für die Wiederaufnahme des eingestellten Verfahren bedarf es eines förmlichen, also auch schriftlichen Beschlusses.
Manchmal bekommen die Angeklagten Gelegenheit zur Stellungnahme. Eine solche kann abgegeben werden, wird aber erfahrungsgemäß keine Auswirkungen auf die Entscheidung haben. Wer die Einstellung verhindern will, wird im Fall eines Strafbefehlsverfahrens den Einspruch gegen den Strafbefehl zurück ziehen müssen. Dann wird allerdings der Strafbefehl rechtskräftig.
„Fallen einzelne oder abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind“ nicht beträchtlich ins Gewicht, „so kann die Verfolgung auf die übrigen Teile der Tat oder die übrigen Gesetzesverletzungen beschränkt werden.“
Fall 1: Teile einer Tat
Eine Gruppe besetzt ein Bahnhofsgebäude, das abgerissen werden soll. Dabei suchen sie einen Raum auf, dessen Fenster von außen gut sichtbar ist. Beim Öffnen der Tür fällt ein Teil der Türklinke herunter, den anderen hält der Betreffende in der Hand.
Die fahrlässige Sachbeschädigung fällt gegenüber dem Hausfriedensbruch nicht beträchtlich ins Gewicht.
Fall 2: Einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen
Im für uns völlig unrealistischen Fall von Aktivisti, die sich 50 mal auf die Straße kleben, können einzelne der Blockaden gem. § 154a StPO eingestellt werden. Dabei kann im Einzelfall strittig sein, was nicht mehr beträchtlich ins Gewicht fällt.
Beim § 154a gibt es Fälle, bei denen die Einstellung durchaus Sinn macht. Mir sind aber auch Fälle bekannt, in denen der § 154a dazu missbraucht wurde, den Schreibtisch des Richters von nervigen Akten zu erlösen.
Auch hier gilt:
Manchmal bekommen die Angeklagten Gelegenheit zur Stellungnahme. Eine solche kann abgegeben werden, wird aber erfahrungsgemäß keine Auswirkungen auf die Entscheidung haben. Wer die Einstellung verhindern will, wird im Fall eines Strafbefehlsverfahrens den Einspruch gegen den Strafbefehl zurück ziehen müssen. Dann wird allerdings der Strafbefehl rechtskräftig.
Die weiteren Paragraphen sind für uns eher irrelevant.
§ 154b könnte von Interesse sein, wenn es um Aktivist*innen aus dem Ausland ohne gesicherten Aufenthaltsstatus geben. Ihre Verfahren können bei einer Auslieferung oder Landesverweisung eingestellt werden.
§ 154 c betrifft Menschen, die Straftaten begangen haben, weil sie zu der Straftat genötigt oder erpresst wurden.
§ 154 d ist für uns irrelevant. Das betrifft bei Anzeigendelikte den Fall, dass vor der strafrechtlichen Entscheidung zivil- oder verwaltungsrechtliche Vorfragen geklärt werden müssen. Hier kann die StA dem Anzeigenerstatter eine Frist für die Klärung setzen und nach Fristablauf das Verfahren einstellen.
§ 154 e ist für uns auch eher weniger relevant. Danach können Verfahren wegen falscher Verdächtigung oder Beleidigung eingestellt werden, wenn und solange wegen der angezeigten oder behaupteten Handlung ein Straf- oder Disziplinarverfahren anhängig ist.
§ 154 f ist eine rein vorläufige Einstellung. Sie kann erfolgen, wenn die Durchführung einer Hauptverhandlung aufgrund einer längeren Abwesenheit oder eines anderen, in der Person d. Angekl. liegenden Hindernisses nicht möglich ist. Denkbar ist hier eine längere schwere Krankheit. Die Vorschrift bestimmt auch, dass die StA zuvor den Sachverhalt soweit wie möglich aufgeklärt und die Beweise gesichert haben muss. Nach Wegfall des Hindernisses kann das Verfahren also wieder aufgenommen werden. Für uns ist, glaube ich, diese Vorschrift eher nicht von Interesse.