Tatsächlich dürfen angeklagte Personen auch Menschen als Rechtshilfe mit in den Prozess nehmen, die keine ausgebildeten Anwält:innen sind. Diese Menschen sollten/müssen sich mit Recht, hauptsächlich mit Straf- und Strafprozessrecht, auskennen. Das ist laut Gesetz ein Fall der Wahlverteidigung und in § 138 Abs. 2 StPO geregelt. Es wird manchmal auch von Lai:innenverteidigung gesprochen, da auch Menschen es beantragen können, die juristische Lai:innen sind. Wir sprechen meistens von Wahlverteidiger:innen, da eigentlich alle Menschen, die vor Gericht verteidigen, eine gewisse Sachkenntnis mitbringen.
Allerdings kennen viele Gerichte diese Möglichkeit nicht oder sind kein großer Fan manchmal. Deswegen werden Wahlverteidiger:innen immer wieder abgelehnt oder während des Verfahrens ausgeschlossen. Dies passiert oft willkürlich. Als RAZ e.V. haben wir viele gute Erfahrungen gemacht mit der Beantragung der Wahlverteidigung. Selten werden Menschen abgelehnt, die Kenntnisse in dem Bereich mitbringen. Aber mehr dazu weiter unten im Artikel.
Idee hinter der Wahlverteidigung nach § 138 Abs. 2 StPO ist, dass ein Prozess kollektiv geführt werden kann. Dadurch sitzt die angeklagte Person nicht allein vor Gericht und es macht vielleicht sogar Spaß sich, gemeinsam mit dem Gericht über die Legitimität und Legalität von Protesten zu streiten. Außerdem entstehen keine zusätzlichen anwaltlichen Kosten und die Verteidigung hat trotzdem Rechte, wie auf Akteneinsicht, das Schöffenregistereinsichtsrecht, auf das Einreichen von Revisionsbegründung und Rechtsbeschwerdebegründungen etc.
Es kann sehr empowernd sein, sich gemeinsam mit einer Wahlverteidigung auf die Anklagebank zu setzen. Auf diese Art und Weise können auch Dinge ausprobiert werden, die im typischen Strafprozess vielleicht nicht Gang und Gebe sind. Dadurch kann zum Beispiel auch ein viel persönlicheres Gespräch zwischen Gericht und Verteidigung entstehen, da das Setting als etwas weniger offiziell wahrgenommen wird von allen Beteiligten.
Natürlich wirst du nicht alleine gelassen mit den Vorbereitungen deines Gerichtsprozesses. RAZ e.V. betreut alle Gerichtsverfahren und hilft dir auch bei allen inhaltlichen, sowie auch organisatorischen und logistischen Vorbereitungen. Dafür ist es wichtig, dass du deinen Termin der RAZ mitteilst (am besten per Mail an [email protected]). Dann melden wir uns rechtzeitig, um gemeinsam in die Absprache zur Selbst- und/oder Wahlverteidigung, bzw. die Notwendigkeit von Anwält:innen zu gehen.
Wir haben einen Pool an Menschen, die gerne Aktivist:innen als Wahlverteidigung supporten. Wenn du Teil davon sein willst (oder natürlich eine Verteidigung brauchst), schreib uns gerne.
Allgemein ist die Verteidigung im Strafrecht in § 137 Abs. 1 S. 1 StPO geregelt. Dort heißt es: “Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen.” Ein:e Verteidiger:in ist also erstmal der Beistand der beschuldigten Person - verankert ist das Recht auf ein faires Verfahren weiter im Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Hiernach sind bis zu drei Wahlverteidiger:innen zulässig. Dies bedeutet, dass eine angeklagte Person bis zu drei Menschen als Verteidigung mitbringen darf. Andersherum darf ein:e Wahlverteidiger:in nicht mehrere Angeklagte vertreten, da es das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) gibt.
Die Möglichkeit der Wahlverteidigung ist dann in § 138 StPO weiter geregelt. Dort heißt es:
§ 138 StPO
(1) Zu Verteidigern können Rechtsanwälte sowie die Rechtslehrer an deutschen Hochschulen im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt gewählt werden.
(2) Andere Personen können nur mit Genehmigung des Gerichts gewählt werden. Gehört die gewählte Person im Fall der notwendigen Verteidigung nicht zu den Personen, die zu Verteidigern bestellt werden dürfen, kann sie zudem nur in Gemeinschaft mit einer solchen als Wahlverteidiger zugelassen werden.
(3) Können sich Zeugen, Privatkläger, Nebenkläger, Nebenklagebefugte und Verletzte eines Rechtsanwalts als Beistand bedienen oder sich durch einen solchen vertreten lassen, können sie nach Maßgabe der Absätze 1 und 2 Satz 1 auch die übrigen dort genannten Personen wählen.
In Abs. 1 hält erstmal fest, wer ohne Genehmigung des Gerichtes als Verteidigung auftreten kann. Spannend für die Wahlverteidigung ist dementsprechend der Abs. 2. Hier wird geregelt, dass andere Personen, also erstmal alle anderen mit egal welchem Hintergrund, durch Genehmigung auch verteidigen dürfen.
Abs. 2 dient dem Interesse der beschuldigten Person, damit diese sich von einer Person ihres Vertrauens verteidigen lassen kann. Das Gericht entscheidet nach der Beantragung (Voraussetzung) über die Genehmigung der Wahlverteidigung. Bevor das Gericht entscheidet muss die Staatsanwaltschaft angehört werden (entweder schriftlich im Vorhinein einer Hauptverhandlung oder dann alternativ mündlich in der Hauptverhandlung). Die Genehmigung ergeht durch einen Beschluss, der nach § 34 StPO zu begründen ist. Gegen den Beschluss, z.B. bei Ablehnung der Verteidigung, kann das Rechtsmittel der Beschwerde eingelegt werden. Tipp: Es kann manchmal helfen zugelassen zu werden, wenn du bei der Hauptverhandlung die Beschwerde direkt ausgedruckt dabei hast und sozusagen damit “drohst” diese einzulegen im Falle der Ablehnung. Das hat schon öfter bewirkt, dass Verteidiger:innen doch zugelassen wurden. Bei einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung, z.B. durch Fehler des Gerichtes im Ablauf, kann dies zudem ein Revisionsgrund sein.
Erst durch die Genehmigung kommt dann ein wirksames Verteidigungsverhältnis zustande. Dadurch hat dann die beantragte Wahlverteidigung dieselbe rechtliche Stellung wie ein:e Rechtsanwält:in. Es gibt natürlich einige Besonderheiten, die weiter unten aufgelistet sind und auf die ihr auf jeden Fall achten solltet!
Das Gericht trifft die Entscheidung über die Genehmigung nach pflichtgemäßen Ermessen. Allerdings darf die Genehmigung nicht auf besondere Ausnahmefälle beschränkt werden. Das bedeutet, dass du nicht nur in Ausnahmen zugelassen werden darfst, sondern eben nur in Ausnahmen abgelehnt werden solltest.
Die Genehmigung muss erteilt werden, wenn die gewälte Person (die Wahltverteidigung) das Vertrauen der beschuldigten Person hat, genügend sachkundig und vertrauenswürdig erscheint und sonst keine Bedenken gegen ihr Auftreten als Verteidiger:in bestehen.
Sachkunde?
Vertrauenswürdigkeit?
Grundsätzlich besteht die Genehmigung und das daraus entstehende Verhältnis zwischen Verteidigung und angeklagter Person bis zum rechtskräftigen Ausschluss aus dem Verfahren. Es gibt aber auch die Möglichkeit für das Gericht, die Genehmigung zurückzunehmen. Das kann z.B. passieren, wenn sich herausstellt, dass die Genehmigungsvoraussetzungen nicht vorlagen oder nachträglich entfallen sind. Eine Zurücknahme der Genehmigung wirkt sich dann aber nicht auf die Handlungen der Verteidigung in der Vergangenheit aus, sondern nur für die Zukunft.
Die Möglichkeiten des Ausschlusses sind in § 138a und § 138b StPO aufgeführt. Es gelten im Prinzip dieselben Ausschlusskriterien wie bei Anwält:innen.
Die, durch das Verhältnis geschaffenen, Berechtigungen der Verteidigung gelten auch noch im Strafvollzug fort. Dies bedeutet, dass Wahlverteidiger:innen dieselben Besuchsrechte im Gefängnis haben wie Anwält:innen. Dadurch werden Mauern von Gefängnissen durchlässiger!
Im Prinzip haben Anwält:innen nicht mehr Rechte als die genehmigte Wahlverteidiger:innen. Ein paar Unterschiede gibt es jedoch. Z.B. dürfen genehmigte Verteidiger:innen keine Roben tragen.
Ein weiterer Unterschied fällt bei dem Prozess der Akteneinsicht auf. Eigentlich haben Wahlverteidiger:innen auch hier die gleichen Rechte. In der Praxis ist es leider oft Anwält:innen leichter möglich die Akte z.B. auch mitzunehmen. Als genehmigte Wahlverteidiger:in ist das manchmal schwieriger.
Tipp: Es vereinfacht oft vieles, wenn angeklagte Personen sich durch Anwält:innen vertreten lassen, um die eigene Akte einsehen können. Dadurch wird oft eine digitale Kopie ziemlich kostengünstig möglich. Danach ist es immer noch möglich, sich selbst zu verteidigen oder durch eine Wahlverteidigung nach § 138 Abs. 2 StPO.
Selbstverständlich ist es auch möglich, dass du sowohl auf Unterstützung von Anwält:innen als auch Wahlverteidiger:innen zurückgreifst. Wichtig ist hier einfach, dass die gewollte Strategie, bzw. Ziel und Vision des Prozesses, nicht durch einen Teil der Verteidigung zerschossen wird.
Weitere Unterschiede beinhalten, dass Wahlverteidigungen nach § 138 Abs. 2 StPO nicht als Pflichtverteidigungen in Betracht kommen.
Außerdem taucht bei der Einlegung von Rechtsmittel eine Herausforderung für Wahlverteidiger:innen im Vergleich zu Anwält:innen auf: Es gibt keinen einfachen Zugang zum “beA” (= besonderes elektronisches Anwaltspostfach). Nach § 32d S. 2 StPO müssen Rechtsmittel elektronisch eingereicht werden - dies gilt auch für Nicht-Anwält:innen. Elektronisch schließt nicht Fax oder Mail ein. Alternativ kann einfach die angeklagte Person selbst Rechtsmittel einlegen - diese darf dies auch per Fax, Brief oder mündlich vor Ort an der Geschäftsstelle.
Eine Wahlverteidger:in nach § 138 Abs. 2 StPO kann entweder schriftlich vor Gericht beantragt und dann durch die Richter:in genehmigt (oder auch abgelehnt…) werden oder die Richter:in lässt den Antrag stillschweigend einfach zu. Die Wahlverteidigung kann zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens beantragt werden - also im Vorhinein der Hauptverhandlung, ganz zu Beginn oder während des Prozesses, oder auch im Nachhinein, um z.B. Rechtsmittel einzulegen.
Die Handhabung der Anträge bei der Gerichte ist sehr unterschiedlich. Es ist auch möglich, genehmigt zu werden, ohne schriftliche Nachweise über juristische Fähigkeiten zu erbringen. Allerdings muss die Person oft erklären können, wieso sie sich als Verteidigung eignet und nötige juristische Fähigkeiten besitzt.
Vorlagen zur Beantragung findest du hier
Wurde eine Verteidigung vor dem Amtsgericht einmal zugelassen ist sie für das komplette Verfahren zugelassen, also auch vor höheren Gerichten bei einer Berufung oder Revision. Im Idealfall wird die Wahlverteidigung hier gleich mitgeladen. Passiert dies nicht, fragt beim Gericht gerne per Anruf nach. Sollte es zu Schwierigkeiten kommen, meldet euch gerne unter [email protected].
Revisionen dürfen Wahlverteidiger:innen, die nach § 138 Abs. 2 StPO zugelassen wurden, nicht alleine führen. Hierzu benötigt es Anwält:innen.
Wenn es in einem Prozess zu einem Freispruch oder einer Einstellung kommt, dann sollten auch die ausgelegten Kosten der Verteidigung übernommen werden. Hierzu zählen Fahrtkosten, und insgesamt Verteidigungskosten.
Grundlage für die Höhe der Kosten ist die Anlage I des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG): https://dejure.org/gesetze/RVG/Anlage_1.html
Für Menschen ohne juristisches Studium, die eine Wahlverteidigung gemacht haben, ist allerdings nur der Teil 7 “Auslagen” relevant. Dieser umfasst Fahrtkosten, Druckkosten, Portogebühren und eine Entschädigung für die Abwesenheit von zu Hause. Reguläre Verfahrensgebühren für Strafverfahren nach Teil 4 dürfen leider nicht abgerechnet werden.